Frau sitzt zusammengesunken auf einer Laufbahn
 

Sport als Stressor?

Dass Sport die Gesundheit fördert und viele positive Aspekte mitbringt, ist klar. Er hilft im Alltag abzuschalten, den Ruhepuls, Blutdruck und die Herzfrequenzvariabilität zu verbessern. Er macht leistungsfähiger, ausdauernder und fördert kognitive Lern- und Leistungsprozesse erheblich. Zudem kann er dazu beitragen, sich im eigenen Körper wohl zu fühlen und das Selbstbewusstsein positiv beeinflussen. Vor allem Menschen, die viel sitzen, profitieren durch den körperlichen Ausgleich. Brechen wir es allein auf die Mechanik runter, ist unser Körper ein absolutes Wunderwerk, welches bewegt werden will. Jede/r Oldtimer-Besitzer/in wird dem zustimmen: Was sich nicht regelmäßig bewegt, rostet. Eigentlich könnte mein Beitrag an dieser Stelle mit einem motivierenden Ausruf wie: »MACH SPORT!« schon enden, wenn es nicht – wie überall – auch eine Kehrseite der Medaille gäbe.

Kann man zu viel Sport machen?

Unabhängig vom Lebensbereich kann jede Form eines Extrems kontraproduktiv sein und ins Negative kippen. Somit gilt dies auch für die Bereiche Sport und Training. Um zu verstehen, was ich damit meine, möchte ich dir mehr über das Thema Stresskapazität erzählen.

Jeder Mensch hat eine individuelle Kapazität an Stress, die sie oder er vertragen kann. Dabei spreche ich weniger von der physiologischen Leistungsfähigkeit im Sinne von muskulärer oder kardiovaskulärer Arbeit (Ausdauer), sondern eher von der Belastbarkeit des vegetativen Nervensystems. Das vegetative Nervensystem (VNS) ist ein System in unserem Körper, das für alle Prozesse und Abläufe, die im Hintergrund stattfinden, verantwortlich ist. Wir können dieses nicht oder nur kaum aktiv beeinflussen. Dabei wird das VNS in einen Systemerreger und einen Systemberuhiger unterteilt. Wie der Name schon sagt, aktiviert der Erreger unseren Körper, um gewissen Leistungen zu fördern und/oder grundsätzlich möglich zu machen. Morgens früh, wenn wir aufstehen ist es gut, dass sich der Erreger aktiviert. Er lässt uns morgens in Schwung kommen, sorgt dafür, dass wir uns konzentrieren können und unseren täglichen To-Do's bestmöglich nachgehen können. Am Abend, wenn wir uns entspannen und uns systemisch auf die Nacht vorbereiten wollen, wird der Beruhiger aktiv. Er fährt unser System langsam runter und sorgt dafür, dass wir gut ein- und durchschlafen können. In der Nacht reguliert er unsere Regenerationsprozesse und sorgt dafür, dass wir am nächsten Morgen, wenn der Erreger wieder aktiv wird, mit vollgeladenen Akkus in den Tag starten können. Dieses Zusammenspiel ist extrem wichtig für deine kontinuierliche Leistungsfähigkeit und ein allgemeines Wohlbefinden im Alltag.

Je intensiver wir Stress auf unser System applizieren, desto länger bleibt der Erreger aktiv. Das ist auch grundsätzliche okay und gibt uns die Möglichkeit, auch in sehr stressigen Phasen, wie beispielsweise einer Klausurenphase, über längere Zeit produktive Leistungen zu erbringen. Wichtig ist nur, dass irgendwann eine Phase kommt, in der wir unserem System auch wieder Ruhe und Entspannung gönnen. 

In unserem Alltag können unterschiedliche Situationen dazu führen, dass wir uns gestresst fühlen. Stress kann die anstehende Klausur sein, emotionaler Stress im Sinne von zwischenmenschlichen oder familiären Problemen, ungelösten Traumen, regelmäßiger Schlafentzug oder ein sehr unregelmäßiger Schlafrhythmus. Alkohol, Kaffee und Drogen sind Stress, ebenso Lebensmittel, die unseren Blutzucker regelmäßigen großen Schwankungen aussetzen. Du siehst, die Liste an potenziellen Stressoren ist ziemlich lang. Und jetzt kommt die große Überraschung: Sogar unser heiß geliebtes Training im Fitnessstudio oder Sport im Allgemein kann zu einem Stressor werden der negative Auswirkungen für unser VNS haben kann.

»WHAT? Mein heiß geliebtes Training im Fitti? Never!?«

Doch, denn hast du zum Beispiel viele stressige Wochen in der Bib verbracht, wenig und schlecht geschlafen, nur Fast-Food gegessen und große Sorgen um das Bestehen des letzten Dritt-Versuches bei dem Prof, der dich eh nicht mag, dann kann das Training im Studio oder die Late-Night-Boulder-Session der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Was ich damit sagen will: Ist dein System bereits völlig gestresst und deine Stresskapazität aufgebraucht, dann kann sogar etwas vermeintlich Positives wie Training dazu führen, es völlig zu überlasten. Die Konsequenzen sind Unruhe, schlechter Schlaf oder extrem lange Einschlafzeiten mit tausenden von Gedanken, die einem durch den Kopf jagen. Unkonzentriertheit und das Gefühl man schafft das alles nicht mehr, gehen mit der vegetativen Überlastung häufig einher. 

Die gute Nachricht: Dein System ist nicht »kaputt«! Es ist eher kurzzeitig überlastet und braucht eine Pause. Ähnlich wie dein Handy, wenn es zu lange in der Sonne gelegen hat, überhitzt ist und sich jetzt weigert, dass du es benutzt, weil es erstmal abkühlen muss. Mit ein bisschen Pause im Schatten funktioniert es dann wieder. Und so verhält es sich mit dem VNS. Ist der Erreger völlig überlastet und der Beruhiger kommt gar nicht mehr zum Beruhigen, dann müssen wir versuchen externe Stressoren zu minimieren. Die Klausur kannst du nicht verschieben und auch die Beziehungsprobleme lassen sich vielleicht aktuell nicht klären. Bleibt also der Sport oder dein Training, das du reduzieren kannst, um deinem System wieder etwas mehr Ruhe zu gönnen. 

Funktioniert das Zusammenspiel zwischen Erreger und Beruhiger wieder und du fühlst dich wieder energetisch und ausgeruht, dann kannst du auch wieder mehr Fokus auf ein progressives Training legen. Denn jetzt ist wieder Kapazität für neuen Stress vorhanden. Ich wünsche dir ein erfolgreiches Training mit all den positiven Effekten, den der Sport mitbringt.

@trainingundtherapie
Thomas Armbrecht

Thomas Armbrecht hat nicht nur Sportwissenschaften (B.A.), Soziologie (B.A.) und Osteopathie studiert, sondern ist auch sektoraler Heilpraktiker für Physiotherapie und Physiotherapeut mit Staatsexamen und eigener Praxis.

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